Italien, Du Land der Pasta, des Temperaments, der Sonne und des Olivenöls. Oh, was liebe ich Dich. 

Zugegeben, ein bisschen wurde mir das in die Wiege gelegt, ich kann gar nicht anders. Schließlich bin ich zur Hälfte Dein. Doch optisch habe ich Deine Gene kaum mitbekommen, das wirst Du mir bestätigen. Ich bin keine Deiner rassig aussehenden Italienerinnen mit ihren dunklen, langen Wallemähnen und mit sonnengeschönter Haut und Augen wie aus dunkler Schokolade. 

Dunkle, lange Haare habe ich, ja, doch meine Haut ist blass und mein Teint bekommt viele Sommerspossen von Deiner Sonne und verrät nicht, dass ich ein Teil von Dir bin.

Und doch umarmst Du mich jedes Mal mit Deiner Sonne und Liebe, wenn wir uns sehen. 

Meine italienischen Gene bestehen aus meiner Diskussionsfreudigkeit gepaart mit ein wenig Temperament und vor allem aus dem Fuchteln mit den Händen. Das ist alles, das weißt Du. Ich bin die abgespeckte Version eines italienischen Mädchens, erst zurückhaltend und eher scheu, bevor ich mich forsch und frech zeige.

Und doch liebst Du mich genauso, wie ich bin. 

Es macht Dir nichts, dass ich von meinen Freunden aufgezogen werde, weil ich meist ein wenig zu wild und wirsch mit den Händen erzähle und erklärende Gesten bei den Worten „klein“, „groß“ oder bei „alle zusammen“ nachforme. Im Gegenteil, Du freust Dich darüber. Zeigt sich in solchen Momenten doch das italienische Blut in meinem Adern.

Und das findest Du schön. 

Als Kind war ich jedes Jahr bei Dir, bis ich 17 oder 18 wurde. Während der Sommerferien waren wir jedes Jahr sechs Wochen unzertrennlich und ich liebte es, bei Dir zu sein – und Du liebtest es, mich bei Dir zu haben. Sechs Wochen bei Dir in Kalabrien, ganz unten im Stiefel, dort, wo es viele Bauern und Berge und verwitterte und halb fertig gebaute Häuser gibt, wo die Haut Deiner Bewohner rauh und sonnengegerbt ist und die Flora und Fauna zwischen trocken als blühend ihre Balance zu finden versucht. 

Ich erinnere mich gern an Deine bergigen Kurven, die zu dem Dorf meines Vaters führen. Und an die trockenen Hänge, die oft durch die Hitze und Trockenheit in Flammen aufgingen, die in rasender Schnelle und Gier alles niederbrannten und in schwarzer Asche zurück ließen, was einst einmal grün war.

Und doch warst Du für mich immer wunderschön. 

Ich erinnere mich ebenso gern an das kleine Dorf in Dir, 29 Kilometer von Deiner Provinzhauptstadt Crotone entfernt. Der Heimat Pythagoras. Weit oben in 600 Meter Höhe auf einem luftigen Berg hast Du mich jedes Jahr wieder in San Nicola dell’ Alto mit einem Küsschen rechts und einem Küsschen links begrüßt und freudig meine Namen gerufen. Ssssii biiiiiie lle. 

Dieser kleine Teil von Dir mit gerade einmal um die 900 Einwohnern nahm mich jedes Mal warm und herzlich auf, als wäre ich ein Teil von ihm, als gehörte ich dorthin. Die einzige Hauptstraße, der Rrugë (sprich: Racho), die sich breit und uneben durch San Nicola schlängelt und ihre dünnen Ärmchen in viele Richtungen um sämtliche Häuschen schlingt, hat meine Füße bereits getragen, da war ich noch ganz klein. Auf dieser Straße flanierte ich zusammen mit meiner Familie und anderen Sannicolesi abends rauf und runter. Tobte, rannte, stand oder saß vor Deiner Bar und schlürfte Estathé, später Cola, dann Bier.

Doch dann kehrte ich Dir den Rücken zu für bestimmt ein Jahrzehnt.

Sah Deine Berge nicht. Besuchte Deinen Nationalpark Sila nicht. Aß keine Calzone bei Dir in Crotone (oh Gott, was habe ich das all die Jahre vermisst, Deine Calzone ist die beste auf der ganzen Welt!) und schwamm nicht in Deinem Meer. Ich besuchte auch nicht Deine byzanthinische Festung Le Castella.

Doch Du hast es mir nicht übel genommen.Du wusstest, ich komme eines Tages zu Dir zurück. 2009 war es dann soweit. Und 2010 gleich noch mal.Und es war wie immer, Du hattest Dich nicht verändert. Als wäre die Zeit stehen geblieben, als wäre ich nie fort gewesen.

Du hast es mir auch nie übel genommen, dass ich stets etwas ratlos aus der Wäsche schaute, wenn Deine Sannicolesi in tiefsten Arbëresh sprachen und ich nie ein Wort verstand. Von einem Dialekt, der vom Aussterben bedroht ist und von Deinen albanischen Einwanderern im Mittelalter mitgebracht wurde. Selbst meine Italienisch-Kenntnisse sind nicht wirklich nennenswert. Doch auch das war Dir immer egal. Du sprichst eh viel lieber mit den Händen, nicht wahr? 

Du hast es mir auch stets verziehen, dass ich mit dem italienischen Teil meiner Familie nur wenig zu tun habe. Das alles war immer sofort vergessen, wenn ich wieder zu Dir kam. Denn Du weißt um meine starke, innere Verbundenheit zu Dir, daran hast Du nie gezweifelt. Du weißt, ich liebe Dein Temperament, Dein Essen, Deine Menschen, Deine Sonne und den Piniengeruch entlang Deiner Kurven, die mich zu Deinem ionischen Meer bringen. 

Liebes Italien, gerade ist Fußball WM. Und auch hier weißt Du: das einzige Spiel, welches mich stets interessiert, ist das zwischen Deutschland und Italien, sofern es dazu kommt. Denn dann schlägt mein Herz immer besonders laut und schnell … nur für Dich. Und damit ärgere ich meine Freunde, die mich ärgern, wenn ich mit Deinen Händen rede, immer gern ein bisschen zurück. Denn mein Herz ist nun einmal zu Hälfte Dein. 

Und wenn Du doch verlierst, dann ist das nicht schlimm, ich war nämlich bei Dir. Es ist wirklich überhaupt nie schlimm für mich, wenn Du verlierst. Denn ich gewinne, so oder so. Denn zur Hälfte ist mein Herz eben auch Deutsch.

Und auch das liebst Du an mir.

Darum, bella Italia, höre meine italienische Liebeserklärung:

Ti amo tanto, amore mio. 

 

Und Du? Liebst Du die Reggio Calabria in Italien genauso wie ich? 

 

P.S.: Wenn Du selbst einmal das ursprüngliche, italienische Leben erleben möchtest, fernab von Trubel ganz im puren Ursprung des Landes, dann mache bei Deinem nächsten Italien- bzw. Kalabrientrip einen Abstecher nach San Nicola dell’ Alto. Inzwischen gibt es dort direkt am Dorfeingang ein B&B. Von dort kannst Du sogar auf das Haus meiner Familie hinab schauen und hast einen atemberaubenden Blick über die Berge. Schau Dir das Örtchen am besten einfach mal bei Google StreetView an.